Zum Inhalt springen

Anthroposophie und Psychologie

Ist mein seelisches und geistiges Vermögen unmittelbar und ausschließlich an den Körper und die materielle Existenz gebunden, oder hat es ein eigenes existenzielles Dasein? Bleibt es bestehen nach dem Tode, oder vergeht es mit dem Körper? Ist die Empfindung von der Existenz der eigenen Seele eine Illusion? Liegt aber nicht in ihrer Existenz gerade die Würde des Menschen?

Warum sinken wir in die Bewusstlosigkeit des Schlafes? Ist die Seele im Schlaf nicht existent? Was passiert mit uns im Aufwachen nach dem Schlafe? Wodurch wachen wir auf? Wie ergreifen wir aus dem Unbewussten das bewusste Willensleben und den Körper?

Wie greift die Seele in den eigenen Körper, um eine Arm‐ oder Handbewegung gezielt auszurichten? Kommen wir nicht an die Grenze der eigenen Erlebnismöglichkeit und des Bewusstseins? Sind wir uns nicht dadurch selbst ein Rätsel?

 Unsere Seele hat ein unmittelbares Wechselverhältnis mit unserem Körper und doch ist uns dieses Verhältnis unbekannt. Wie verstehe ich mich als seelischer Mensch in dem Verhältnis zu meinem Körper? Ist der Körper und seine Funktion Ursache für mein Seelisches, oder ist das Seelische Ursache für das körperliche Geschehen? Ist das geistig seelische Leben ein Mechanismus des Körpers?

Wenn sich die Definition der Seele dem direkten Zugriff entzieht, so scheint es der experimentellen Psychologie und der analytischen Psychologie gelungen zu sein, aus den Erscheinungen und Äußerungen der Seele im Leben und am Leibe Rückschlüsse zu ziehen. Haben wir es in der heutigen Psychologie dadurch nicht eigentlich nur indirekt mit dem Seelischen zu tun? In diesem Sinne kann weder Naturwissenschaft noch die Psychologie über die selbstständige Existenz des Seelischen Aussagen machen. Das möchte aber gerade die anthroposophische orientierte Geisteswissenschaft mit ihren Erkenntnismethoden.

Man sollte nicht grundsätzlich an den Möglichkeiten einer erweiterten geisteswissenschaftlichen Erkenntnismethode und Forschung zweifeln. Wer sagt uns denn, dass wir mit den heutigen Möglichkeiten an ein Ende gekommen sind? Wäre es nicht ein Hochmut, das zu behaupten?

Wer individuell auf den seelischen und geistigen Werdegang seines eigenen Lebens zurückschaut, der kann in intellektueller Bescheidenheit sehen, wie sein Erkenntnisvermögen und seine Selbstständigkeit mit dem Leben gewachsen sind. Warum sollte das nicht auch weitergehen über die Grenzen des heutigen Zustandes hinaus?

Was mit der Seele nach dem Tod passiert, kann niemand sagen. Warum will uns die Religion und die Naturwissenschaft hier eine absolute Grenze des Erkennens einreden?

Könnte es nicht sein, dass in jeder Seele Kräfte schlummern, auch Erkenntniskräfte, die über die Grenze des Körperlichen und damit über die Grenze des Todes hinausgehen? Eine Antwort kann nicht theoretisch gegeben werden. Eine Antwort darauf kann jeder nur

praktisch selber geben, in dem er den Forschungsweg der Geisteswissenschaft nachvollzieht und in diesem Nachvollziehen ihn entweder bestätigt oder verwirft.

Diese Forschungsmethode beginnt in einem ersten Teil mit Übungen, die das Intellektuelle, Gefühlsmäßige und Moralische der Seelenverfassung ins Auge gefasst, in ein Gleichgewicht und gesundes Verhältnis zum Leben bringt. Die Kräfte vom Denken, Fühlen und Wollen werden in einer Ich‐Schulung zur Selbstbeherrschung gebracht. Es geht in der Grundlage um ein gesundes Seelenleben und der Harmonisierung der Kräfte von Denken, Fühlen und Wollen. Das Gedankenleben wird durch die Meditation so intensiv wie sonst nur das äußere Sinnesleben.

Können wir die Inhalte und Gegenstände unseres Gedankenlebens so intensiv wahrnehmen, wie wir sonst Farbe oder Töne im Leben mit den Sinnen wahrnehmen? Spielt das Unbewusste oder Unterbewusste in meine Meditation herein? Ist die Stimmung und Gesinnung in der Meditation so exakt, wie sonst nur in der Mathematik oder in geometrischen Vorstellungen? Kann das Vorstellungsleben so energisch werden, dass es unabhängig vom Atmungsrhythmus wird? Können wir das Vorstellungsleben als eine bloß geistig seelische Funktion empfinden, von der man weiß, dass der Körper keinen Anteil an ihr hat? Können wir die Welthaftigkeit im Vorstellungsleben, im Gedankenleben so steigern, dass es zu einem lebendigen Denken wird? Können wir das lebendige Denken von dem toten Denken in uns unterscheiden?

  Können wir das Werden der Bilder und Weben der Bilder im Denken fühlen, als eine Kraft unserer Seele, unseres Ich, dann beschreibt dieses Erleben die imaginative Erkenntnisstufe. Eine nächste Stufe der übersinnlichen Erkenntnis besteht darin, dass wir diese Bildhaftigkeit des erkrafteten Denkens auslöschen. Es entsteht ein leeres Bewusstsein, in dem sich für Augenblicke Wahrnehmungsmöglichkeiten für die uns umgebende übersinnliche Welt ergeben. Wir sind auf der Stufe der Inspiration. In diesem leeren Bewusstsein wird erlebbar ein mächtiges Tableau unserer seelischen Wesenheit in diesem Erdenleben. Der Zeit unseres Erdenlebens steht in einem Moment wie eine Erinnerung vor uns. Wir erleben einen zweiten Menschen in uns, den ätherischen Menschen.

Eine nächste Stufe besteht darin, auch dieses Erlebnis des Tableaus wegzuschaffen, durch fortlaufende Anstrengung auszulöschen. Es wird eine neue Dimension der geistig seelischen Welt erlebbar, in der wir waren, bevor wir ins Erdenleben heruntergestiegen sind.

Wir finden uns in einer Welt des Makrokosmos, mit wir verbunden waren, bevor wir geboren wurden. Wir sehen in den Zusammenhang des menschlich Ewigen mit dem zeitlich Räumlichen des irdischen Lebenslaufes.

Die Ergebnisse und Früchte der Kraft und des Denkens führen uns in das Vorgeburtliche, wie auch die Erkraftung des Willens in den Willensübungen uns in das Nachtodliche führen.

Wir kommen auf diesem Wege dazu, scheinbar zufällige Ereignisse als Schicksal anzusehen, die aus früheren Erdenleben in das jetzige hinein wirken. Die Beziehungen von Seele zu Seele und die Gemeinschaften von Mensch zu Mensch setzen sich in eine nachtodliche Welt fort und Wirken in dem Vorgeburtlichen in diese Welt hinein.

Man muss kein Geistesforscher sein, um diese Zusammenhänge einzusehen, so wie man kein Maler

sein muss, um ein schönes Bild zu bewundern und zu erleben. Allein der gesunde Menschenverstand und die Selbstbesinnung der Seele kann diese Zusammenhänge anerkennen.